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05.03.2019 KienbergSchwabe-Chef Ruedi Bienz hat seine Nachfolge geregelt und ist jetzt im Teilruhestand
«Wer Schwabe führt, der hat eine Aufgabe – für eine kurze Etappe auf der langen Geschichte des Unternehmens.» Ruedi Bienz (66) hat die Weichen gestellt, damit der älteste Verlag der Welt eine Zukunft ...
Schwabe-Chef Ruedi Bienz hat seine Nachfolge geregelt und ist jetzt im Teilruhestand
«Wer Schwabe führt, der hat eine Aufgabe – für eine kurze Etappe auf der langen Geschichte des Unternehmens.» Ruedi Bienz (66) hat die Weichen gestellt, damit der älteste Verlag der Welt eine Zukunft hat.
Robert Bösiger
Locker und zufrieden sitzt Ruedi Bienz an diesem sonnig-warmen Februartag hinter seinem Haus in Kienberg und blinzelt in die Sonne. Am Abend zuvor – am 18. Februar, seinem 66. Geburtstag – hatte er für die ganze Belegschaft seiner Firma noch seinen Ausstand gegeben. Mindestens fünf Katzen sind es, die uns beobachten; ab und zu hüpft eine auf den Tisch oder auf den Schoss von Bienz, um sich kraulen zu lassen.
Ruedi Bienz, der Geschäftsführer und Besitzer des Schwabe-Verlags, konnte nach 43 Jahren loslassen. Allerdings, wie er einräumt, in einer verträglichen Form: «Hätte ich gestern nach meinem Ausstand den Schlüssel abgeben müssen, wäre es mir sehr schwer gefallen. Ich bin aber weiterhin dabei und helfe im Hintergrund mit. So fällt mir das Loslassen leicht.»
Der Schriftsetzer
Ruedi Bienz wächst zusammen mit seiner Schwester Rosmarie auf dem elterlichen Bauernhof auf der Saalhöhe oberhalb von Kienberg auf. Er wäre gerne Landwirt geworden, doch übernimmt der Bruder seiner Mutter den Betrieb. Mutter und Vater – ein ehemaliger «Verdingbueb» und Knecht – arbeiten auf dem Hof. Als der Bauer heiratet, wird es (zu) eng auf dem Hof; die Familie bezieht im Dorf eine Mietwohnung. Vater Jakob arbeitet in der nahen Gipsunion, Mutter Marie in der Handweberei.
Ruedi Bienz ist ein guter Schüler. Eines Tages sollte er seinen Eltern mitteilen, sie sollten ihn ans Gymnasium schicken. Zwar richtet er es aus, entscheidet aber für sich, dass er seine damals kranke Mutter nicht allein lassen möchte. Er rapportiert seinem Lehrer, die Eltern seien dagegen, obwohl dem nicht so war. Und seinen Eltern flunkert er vor, der Anmeldeschluss sei verstrichen. So besucht er zunächst die Berufswahlklasse in Gelterkinden.
Der Jugendliche ist vielseitig interessiert. Auf Anregung seines BWK-Lehrers Karl Senn aus Rothenfluh macht er eine Schnupperlehre als Schriftsetzer bei J. Schaub-Buser AG, der heutigen Schaub Medien AG, welche die «Volksstimme» herausgibt. Er erhält die Lehrstelle und wird glücklich mit dieser Wahl. Bienz: «Ich fand es unheimlich spannend, vor allem, als ich gegen Ende der Lehrzeit auch noch Maschinensetzer lernen durfte. Man konnte nicht nur als Schriftsetzer viel lernen, sondern auch aus den übrigen Bereichen einer Druckerei.»
Nach der Lehre und der Rekrutenschule heuert Bienz in der Polygrafischen Tagesfachschule in Basel an. In dieser Zeit erfährt die grafische Branche mit der Umstellung vom Bleisatz zu Fotosatz eine erste grosse Umwälzung. Der junge Schriftsetzer hat Glück und findet eine Stelle bei der Birkhäuser AG. Er wird Lehrlingsausbilder und trägt für sein Alter von 22 Jahren eine grosse Verantwortung. Weil ihm die Arbeitsatmosphäre nicht zusagt, bewirbt er sich bei Schwabe. 1976 wird er als Sachbearbeiter eingestellt.
Der Mitbesitzer
Schwabe & Co. AG bietet dem wissbegierigen Berufsmann gute Bedingungen. 1983 erhält er die Prokura, fünf Jahre später wird er Vizedirektor. Und Mitinhaber. Er erinnert sich: «Der Besitzer von Schwabe, Christian Overstolz, lud drei seiner Mitarbeitenden – Urs Breitenstein, Werner Stöcklin und mich – zum Mittagessen in die Basler Kunsthalle ein. Bei diesem Essen fragte er uns, ob wir Lust hätten, die Firma zu übernehmen und weiterzuführen. Lust hätten wir schon, sagten wir, aber kein Geld. Die Antwort von Overstolz war: ‹Ich habe nach Lust gefragt und nicht nach Geld …›»
Auf den Tag genau ein Jahr später, am 26. November 1988, feiert das älteste Verlagshaus der Welt das 500-Jahre-Jubiläum. Im Beisein des damaligen Bundespräsidenten Otto Stich verkündet Christian Overstolz, er beginne nun mit der Nachfolgeregelung. Er habe drei aufstrebende Berufsleute ausgesucht, die die Firma weiterführen werden. Gleichzeitig schenkt er allen dreien je ein Aktienpaket von 8 Prozent.
Es dauert freilich noch ein paar Jahre, bis Urs Breitenstein und Ruedi Bienz 1996 Schwabe & Co. AG vollständig übernehmen können; Stöcklin war zwischenzeitlich ausgestiegen. 2007 geht Breitenstein in den Ruhestand und Bienz übernimmt auch dessen Anteil.
Der Patron
«Es hat sich viel bewegt und die Firma ist gewachsen», sagt Ruedi Bienz auf die Frage, wie er die Jahre als Alleinbesitzer und Patron erlebt hat. Bienz erlebt die weiteren Umwälzungen bis hin zur Digitalisierung, «die noch viel verrückter ist als alles, was wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben».
Die Digitalisierung, ist sie des Teufels, der Untergang des (gedruckten) Buches, Ruedi Bienz? Nein, das glaubt er nicht, auch wenn «Gedrucktes teilweise verschwindet». Es brauche Bücher und es brauche Daten. Er verdeutlicht: «Das geht mir privat auch so: Wenn ich etwas suche, gehe ich ins Internet und finde das Gesuchte. Ich will nicht extra zur Unibibliothek laufen. Aber wenn ich Zeit habe, ein gedrucktes Buch in der Hand habe, ist das ein sinnliches Erlebnis.»
Er ist sich bewusst, dass durch die Digitalisierung weniger gedruckt wird. Dennoch werden gedruckte Produkte nicht ganz verschwinden, ist er überzeugt: «Drucksachen haben eine viel längere Halbwertzeit als Informationen in digitaler Form. Da drückt man die Delete-Taste oder klickt es weg.»
Auch bei Schwabe werden nicht mehr alle Bücher «inhouse» gedruckt. Er räumt ein, dass dadurch, aber auch durch das Verschwinden von Drucksachen, wie etwa der Wechsel des seit 1798 hergestellten Kantonsblatts Basel-Stadt in eine digitale Form, notwendige Entlassungen «sehr wehgetan und im Betrieb für Verunsicherung gesorgt haben».
Der Wegbereiter
Besser abfinden kann sich Ruedi Bienz mit der jüngsten Neuorientierung des Betriebs. So hat er es ermöglicht, dass aus dem «Robin Hood in Bleischuhen» – so habe ein bekannter Markenexperte den Unternehmensnamen Schwabe charakterisiert – ein zeitgemässes Unternehmen geformt werden konnte. Bienz: «Wir haben die ganze Organisation infrage gestellt, haben die Hierarchien verflacht, neue Einheiten gebildet und besser vernetzt. Dabei haben wir festgestellt, dass der Name Schwabe den neuen Technologien und Tätigkeitsfeldern nicht mehr gerecht wurde.»
Das Unternehmen ist heute ganz neu aufgestellt, organisiert in selbstständigen Firmen: Da ist die Schwabe Verlagsgruppe AG mit dem Schwabe Verlag Basel und Berlin, Zytglogge, Bergli Books und NZZ Libro. In Muttenz ist die Medienmacher AG mit der IT und der Druckerei. Als Dach fungiert die Offizina Petri 1488 als Holding, welche die über 500-jährige Tradition weiterführt und zusammenhält.
Sich selber hat der Patron nun auch zurückgenommen. Mit dem Medizinprofessor und Chefarzt Ludwig Heuss aus Basel hat er einen Wunschnachfolger als Besitzer gefunden. Ein Branchenfremder als neuer Chef? Ruedi Bienz nickt und begründet: «Heuss hat Führungserfahrung und er ist ein bibliophiler, feiner, gebildeter Mensch. Er muss diese Firma nicht so führen, wie ich sie geführt habe.» Dank der Neustrukturierung sind die Firmen mit selbstständigen Geschäftsleitungen bestückt. Heuss, dessen Grossvater Theodor (1884–1963) erster deutscher Bundespräsident war, ist nun quasi ein exekutiver Verwaltungsratspräsident.
Ruedi Bienz verbleibt als Minderheitsaktionär im Verwaltungsrat der Offizina Petri 1488. Er werde mithelfen, Schwabe in die Zukunft zu führen. Bienz hat mit «seinem» Unternehmen grosse Pläne: «Im Jahr 2088 feiern wir 600 Jahre ‹Schwabe›. Wir sagen nicht, dass wir dannzumal (noch) Bücher herstellen. Aber wir wollen auch dann in der Region noch gute Arbeitsplätze anbieten und Dinge produzieren, die die Menschheit weiterbringen.»
Der Ruheständler
Doch wie geht es nun weiter mit ihm selber, der zugibt, manchmal sei in den vergangenen vier Jahrzehnten für die Familie wenig und vor allem für ihn keine Zeit vorhanden gewesen? Grosse Pläne und Vorhaben hat er nicht, er möchte sich einfach wieder mehr Zeit nehmen für seine Partnerin Christina, die Kinder und vor allem für die sechs Grosskinder.
Daneben würde er gerne wieder mehr Velo fahren, lesen und im Garten wirken. Das alles klingt vernünftig und relativ bescheiden. Doch Ruedi Bienz sagt: «Es wird mir kaum reichen, alles zu machen, was ich noch möchte. Aber langweilig wird es mir sicher auch nicht …» Sagts, und wird schon wieder von einer seiner Katzen umgarnt.