«Stadt und Land sind nicht auf Augenhöhe»
29.03.2019 LausenAlt Regierungsrat Eduard Belser (SP) über das schwierige Verhältnis der Basler Halbkantone
Trotz der abgelehnten Vorlage für die Fusion der Spitäler glaubt der ehemalige Baselbieter Sanitätsdirektor und Ständerat Eduard Belser an eine Zusammenarbeit der beiden ...
Alt Regierungsrat Eduard Belser (SP) über das schwierige Verhältnis der Basler Halbkantone
Trotz der abgelehnten Vorlage für die Fusion der Spitäler glaubt der ehemalige Baselbieter Sanitätsdirektor und Ständerat Eduard Belser an eine Zusammenarbeit der beiden Basel.
Andreas Bitterlin
Herr Belser, im Zusammenleben von Basel-Stadt und Basel-Landschaft entwickeln sich immer wieder Animositäten und Frustrationen. Woran liegt das?
Eduard Belser: Die Schmerzen der Trennung im 19. Jahrhundert und die gescheiterten Wiedervereinigungsbemühungen sind nicht überwunden. Das hat Enttäuschungen und Narben hinterlassen. In Baselland ist das Thema weniger belastet, weil das Baselbiet auf eine erfolgreiche Geschichte zurückblicken kann, indem es sich im Gegensatz zum schon lange wohlhabenden Basel aus der Armut zu einem mittelstarken Kanton hochgearbeitet hat.
Gibt es neben der unterschiedlichen historischen Entwicklung auch handfeste aktuelle Begebenheiten, die zu Spannungen führen?
Wirtschaftlich ist Baselland nicht auf Augenhöhe mit Basel-Stadt. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf ist in der Stadt zweieinhalbmal grösser als auf der Landschaft. Der Stadt stehen dementsprechend wesentlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung, was zu Spannungen führt. Bei vielen Baslern herrscht das Gefühl vor, dass sie von den Landschäftlern ausgenutzt werden, weil sie sich nicht paritätisch an den finanziellen Aufwendungen beteiligen. Für beide Kantone muss aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Potenz aber klar sein: Wir Baselbieter können uns nicht an allem, was Basel teils auf hohem internationalem Niveau anreisst, finanziell gleichwertig beteiligen.
Wo sehen Sie den Lösungsansatz?
Eine Zusammenarbeit soll nicht zum Ziel haben, dass jemand seine Eigenständigkeit aufgibt – Fusionen sind dementsprechend nicht zwingend – , sondern es muss ein Geben und Nehmen angestrebt werden entsprechend den verschiedenen Ausgangslagen der Kantone.
Wie beurteilen Sie die Kooperation im Gesundheitswesen nach der gescheiterten Abstimmung über die Fusion der öffentlichrechtlichen Spitäler?
Es gibt jeweils nicht nur eine Lösung. Das Gesundheitswesen in unserer Region ist geprägt von Phasen. Bis Anfang 1970er-Jahre war das Spitalwesen nach Basel orientiert. Nach der 1969 gescheiterten Wiedervereinigungsabstimmung hat Basel das Baselbiet gezwungen, was schriftlich dokumentiert ist, das Gesundheitswesen auszubauen und die Kantonseinwohner selbst zu versorgen. Das ist die Ursache für den Bau des Bruderholzspitals. Später hat die städtische Einwohnerzahl abgenommen mit der Folge, dass die Basler Spitäler im eigenen Kanton zu wenig Patienten hatten. In jeder Phase führt nichts an einer konstruktiven Zusammenarbeit vorbei. Ich bin überzeugt, dass wir auch jetzt einen guten Weg finden werden.
Haben Sie konkrete Forderungen?
Es ist ein Fehler, dass in Verwaltungsräten von öffentlich-rechtlichen Spitälern, die unter der Aufsicht von Kantonen und Parlamenten sind, keine Gesundheitsdirektoren Einsitz nehmen. Schon allein um die praktischen Probleme der nicht einfachen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu erfahren, wäre ein solcher Einsitz sinnvoll. Zudem übernehmen die Kantone einerseits als Eigner der Spitäler und andererseits mit ihren Beiträgen im Rahmen der Krankenversicherung sehr grosse finanzielle Verpflichtungen. Kurz: Regierung und Landrat sollten diese Fragen wieder näher zu sich nehmen. Von Scheinprivatisierungen mit hohen Verwaltungsratshonoraren halte ich wenig.
Zur Parteipolitik. Sie waren von 1971 bis 1987 Präsident des Gewerkschaftsbundes Baselland. Teilen Sie meine Ansicht, dass die Bedeutung der Gewerkschaften in der SP seither abgenommen hat?
Es gibt sektoriell immer noch starke Gewerkschaften, zum Beispiel im Baugewerbe. Insgesamt ist die Gewerkschaftsbewegung aber schwächer geworden. Das hat mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Die Gewerkschaften haben sich von der Arbeiterschaft wegbewegt in ein Milieu, in dem vermehrt Dienstleistungen eine entscheidende Rolle spielen. Dadurch ist die früher starke Bindung zur SP schwächer geworden.
Was ist die Konsequenz dieser Entwicklung?
Zum Teil fühlt sich die Partei durch Gewerkschaftsanliegen bei übergeordneten Ideen eher gehemmt und auf der anderen Seite fühlen sich die Gewerkschaften oft auch im Stich gelassen, was die traditionelle Verbundenheit mit der Partei schwächt. Dieses Phänomen ist auch in anderen Ländern ersichtlich.
Die Juso vertreten radikale Ansichten. Auf ihrer Website proklamieren sie: «Um die Umweltkatastrophe aufzuhalten, müssen wir das kapitalistische System überwinden.» Sind die Juso heute aufmüpfiger als früher?
Mit gewissen Parolen der Juso habe ich nicht das Geringste am Hut. Ich strebe einen Ausgleich und eine schrittweise Entwicklung zu einer gerechteren Ordnung an. Die SP insgesamt entstammt nicht der Philosophie des Umsturzes.
Die Juso verlangen die Abschaffung der Armee. Was löst diese Forderung bei Ihnen als ehemaligem Oberst und als ehemaligem Mitglied der Militärkommission aus?
Das sind Illusionen. Das schafften bis jetzt weder sozialdemokratisch noch sogenannt sozialistisch regierte Länder. Man kann sich immer fragen, wie viel man für die Sicherheit ausgeben soll und wie man diese Aufgabe organisiert. Meiner Meinung nach engagieren wir uns sogar zu wenig für die Sicherheit.
Wohin soll der Weg der SP führen?
Es existiert ein Auseinanderdriften von Menschen, die finanziell knapp über die Runden kommen, und solchen, die finanziell sehr gut gestellt sind. Die SP muss sich auf der Seite Ersterer engagieren. Es gibt eine äusserst schädliche Entwicklung in unserem Land: Die steigenden Exzesse zugunsten der Spitzen von Unternehmen. Diese begreife ich nicht und sie sind nicht notwendig. Unsere Partei darf nicht vergessen, wofür sie ursprünglich eingestanden ist und sie muss sich nach wie vor für die weniger Privilegierten einsetzen.
Wo sehen Sie in der Schweiz die wichtigsten politischen Handlungsfelder?
Neben den gesellschaftlich-sozialen Komponenten ist es das Verhältnis Schweiz - Europa. Ich habe eine sehr kritische Haltung gegenüber dem, was aus dem europäischen Projekt entstanden ist. Die Einebnung, die in Europa zwischen den Ländern angestrebt wird, halte ich für grundlegend falsch. Es muss möglich sein, dass in Europa auch unterschiedliche nationale Interessen umgesetzt werden können und dass nicht alles über einen Leisten geschlagen wird. Dem vorliegenden Rahmenabkommen würde ich nie zustimmen, denn es darf nicht sein, dass wir zentrale Gebiete unserer Eigenständigkeit aufgeben. Auch andere Länder in Europa realisieren, dass bei diesen Einebnungstendenzen einiges falschläuft.
Was gehört neben der Politik noch zu Engagements in Ihrem Leben?
Ich bin seit 40 Jahren Imker und besitze im Moment 15 Völker. Vor der Schliessung der Firestone* in unserer Region war ich sehr engagiert und habe Kundgebungen und die Fabrikbesetzung mitorganisiert. Nach der Schliessung war ich emotional in einer Situation, die verlangte, dass ich mich Hals über Kopf in ein neues Thema vertiefen musste. Es war die Imkerei, die mir einen neuen Blick eröffnete. Wenn ich mit den Bienen arbeite, bin ich vollauf auf diese konzentriert und kann gedanklich nicht anderen Themen nachhängen.
* Die Pneuproduzentin Firestone schloss den Betrieb in Pratteln am 22. März 1978. Mehr als 800 Mitarbeitende waren betroffen. In den besten Zeiten produzierten 1450 Mitarbeiter täglich 8000 bis 9000 Pneus.
Ehemaliger Baselbieter Ständerat und Regierungsrat
abi. Der am 1. August 1942 geborene Edi Belser arbeitete nach dem Mittellehrer-Studium an der Universität Basel von 1968 bis 1987 als Lehrer und Rektor im Kanton Baselland. Er wohnt in Lausen. Dort amtierte er von 1971 bis 1975 als Gemeinderat, 1975 bis 1979 war er Mitglied des Landrats. 1979 wurde er anstelle des wieder kandidierenden Werner Jauslin (FDP) in den Ständerat gewählt. Es war vor 40 Jahren bis heute das letzte Mal, dass im Baselbiet ein amtierender Ständerat abgewählt wurde. 1987 trat Belser zurück.
Von 1987 bis 1999 leitete Edi Belser in der Baselbieter Regierung die Volkswirtschafts- und Sanitätsdirektion. In seiner Amtszeit war – wie heute und bei mehreren früheren politischen Konstellationen – die Zusammenarbeit von Basel-Stadt und Baselland im Gesundheitswesen ein Kernthema. Gemeinsam wurde eine Spitalplanung erarbeitet und umgesetzt. In diesem Zusammenhang schloss Basel-Stadt die Josefsklinik, und Baselland baute Betten ab. Gemeinsam haben die Direktion von Edi Belser und das Basler Sanitätsdepartement zusammen mit involvierten Gremien die Gründung des gemeinsamen Universitäts-Kinderspitals beider Basel aufgegleist.
Von 1971 bis 1987 führte Belser als Präsident den Baselbieter Gewerkschaftsbund. Von 1999 bis 2002 präsidierte er den Bankrat der Schweizerischen Nationalbank.
Heute engagiert sich Edi Belser unter anderem für die Erhaltung des Lac Lucelle und des den See umgebenden Naturschutzgebiets im Kanton Jura nahe der Grenze zu Frankreich. Der See war vom Verschlammen bedroht, sodass ein Grossteil des Fischbestands verendete. Mittels zahlreicher Massnahmen konnten die Lebensbedingungen für Pflanzen und Tierarten nachhaltig verbessert werden. Edi Belser ist Präsident des Vereins Freunde des Lac Lucelle. Auch in Lausen trifft man ihn regelmässig an. Unser Bild zeigt ihn bei seinem Einsatz am Lausner Dorffest vom vergangenen Sommer.