«Videoanalysten? Haben wir selber gemacht» -EM der Frauen
27.06.2025 Sport, FussballVom Tannenbrunn zur «Nati»: Wie Béatrice von Siebenthal den Fussball prägte
Frauenfussball in der Schweiz – ohne Pionierinnen wie Béatrice von Siebenthal wäre er heute nicht da, wo er ist. Vom Aufbau der Sissacher Frauenabteilung bis zur Leitung ...
Vom Tannenbrunn zur «Nati»: Wie Béatrice von Siebenthal den Fussball prägte
Frauenfussball in der Schweiz – ohne Pionierinnen wie Béatrice von Siebenthal wäre er heute nicht da, wo er ist. Vom Aufbau der Sissacher Frauenabteilung bis zur Leitung des Nationalteams hat sie den Sport geprägt. Heute freut sie sich auf die EM und ist dem Fussball eng verbunden.
Luana Güntert
«Ich war schon lange nicht mehr hier», sagt Béatrice von Siebenthal und blickt über den Sportplatz Tannenbrunn in Sissach. Den Platz, auf dem sie als junge Frau Fussball spielte und mithalf, die Frauenabteilung des ansässigen Sportvereins aufzubauen. Viel hat sich seither im Frauenfussball verändert – nicht nur in Sissach. Von Siebenthal weiss das wie keine andere: Sie wurde später Nationaltrainerin – eine Wegbereiterin in einem lange vernachlässigten Sport – und zog nach Bern. Doch um zu verstehen, wie alles begann, müssen wir zurück ins Homburgertal, in die späten 1970er-Jahre.
Fussball liebte Béatrice von Siebenthal – damals noch Buser – schon als Kind. «Ich spielte zu Hause in Rümlingen gegen die Hausmauer und später auf dem Pausenplatz», erzählt sie im Klubhaus des SV Sissach. Als 14-Jährige kam sie erstmals in einem organisierten Rahmen – einem J+S-Kurs – mit Fussball in Kontakt. Der Kursleiter empfahl ihr, sich einem Verein in Basel anzuschliessen: «Hier im Oberbaselbiet gab es damals keine Angebote für Mädchen und Frauen.»
Der Leiter vermittelte also einem Trainer in Basel die Telefonnummer der Familie Buser. Kurz darauf meldete sich dieser bei von Siebenthals Eltern. Vom Fussball oder dem weiten Weg liessen sie sich nicht abschrecken – vom Winter hingegen schon. «Es war Herbst und meine Eltern wollten nicht, dass ich in den Wintermonaten mit meinem Töffli im Dunkeln von Rümlingen nach Basel fahre. Sie baten den Trainer, sich im Frühling nochmals zu melden.» Das tat er.
Spielertrainerin beim SV Sissach
Fortan fuhr Béatrice Buser wöchentlich mit dem Töffli von Rümlingen in die Stadt – gemeinsam mit ihrer Diepflinger Kollegin Maja Oberer. Doch als im Winter 1982 immer öfter Trainings ausfielen und die beiden unwissenden Oberbaselbieterinnen den weiten Weg wiederholt vergeblich auf sich nahmen, reifte ein Entschluss: Warum nicht selbst ein Team in Sissach gründen?
Ein Jahr später war es so weit: Der SV Sissach meldete erstmals ein Frauenteam für die Damen-Fussballliga. Buser und Oberer standen als Spielertrainerinnen auf dem Platz – eine Premiere im Oberbaselbiet.
Später, nach Stationen in Bern während des Studiums und der damaligen «B-Nati», hängte von Siebenthal ihre Fussballschuhe an den Nagel, blieb dem Frauenfussball jedoch treu. Die heute 60-Jährige engagierte sich nebenamtlich beim Schweizerischen Fussballverband. Der hatte mittlerweile die Damen-Liga offiziell übernommen. Beruflich war sie Lehrerin, unterrichtete täglich – den Fussball managte sie in ihrer Freizeit. Die U19- «Nati» der Frauen trainierte sie nebenbei, Ferien oder Stellvertretungen musste sie selbst organisieren – und bezahlen. «Irgendwann bekamen wir dann ein Taggeld», sagt sie. «Aber das hat meine Kosten nicht gedeckt. Doch aus Freude an der Sache machte ich weiter.»
Als der Verband Jahre später erstmals eine bezahlte Stelle für den Frauenbereich ausschrieb – ein 50-Prozent-Pensum –, griff die Rümlingerin zu. «Das war ein wichtiger Schritt für den Frauenfussball.» Für sie selbst war es auch ein logischer: Sie hatte sich über Jahre in Position gebracht – und war bereit, auch beruflich im Schweizer Frauenfussball tätig zu werden.
Rückhalt im Verband
Bei der U19 blieb es nicht. 2005 übernahm Béatrice von Siebenthal das Amt der Cheftrainerin des Frauen-A-Nationalteams – als erste Frau in dieser Funktion beim SFV. «Wie alle vorherigen Posten war auch dieser nicht geplant», sagt sie. «Damals gab es keine Vorbilder im Frauenfussball. An eine solche Karriere zu denken, wäre utopisch gewesen.»
Utopisch – dieses Wort passt zu den Bedingungen, unter denen sie das Nationalteam führte. Von Siebenthal erinnert sich aber mit Respekt an die Strukturen jener Zeit: «Ich spürte einen starken Rückhalt vom Verband. Der damalige technische Direktor Hansruedi Hasler und Präsident Ralph Zloczower wollten den Frauenfussball wirklich fördern.»
Trotzdem: Vieles war nicht vergleichbar mit dem, was Nationalteams heute vorfinden. Der Staff war klein, medizinische Betreuung, Goalie-Trainerinnen oder Analysten waren oft nur punktuell verfügbar – meist auf freiwilliger Basis. «Ein Materialwart oder ein Videoanalyst? Das haben wir einfach selber gemacht», sagt sie. «Wir haben irgendwo eine Kamera aufgestellt und gehofft, dass alles Wichtige im Bild ist.»
Auch Unterkünfte und Trainingslager mussten möglichst günstig organisiert werden. «Das war bei den meisten Teams so. Nur die Engländerinnen und die Deutschen waren jeweils mit viel Personal unterwegs», sagt sie und lacht. «Wir anderen haben uns halt einfach mit unserer Situation arrangiert.»
Als «Nati»-Trainerin stand von Siebenthal vor einer grossen Herausforderung: der Verfügbarkeit ihrer Spielerinnen. «Bei der U19 fanden viele Spiele während der Schulferien statt», erklärt die 60-Jährige. «Die Juniorinnen lebten zu Hause, mussten sich kein eigenes Leben finanzieren. Im A-Team war das ganz anders.» Gerade zu Beginn ihrer Zeit als Cheftrainerin gaben viele Spielerinnen ihre «Nati»-Karriere auf – oft schlicht, weil sie sich den Leistungssport neben Beruf oder Ausbildung nicht leisten konnten oder wollten. Eine bittere Realität, die den Frauenfussball damals prägte.
«Die Verhältnisse haben wir damals aber nicht als negativ aufgefasst», gibt die Oberbaselbieterin zu. Die Bedingungen seien zwar nicht gut gewesen – doch sie wurden kontinuierlich besser und waren jeweils so gut wie nie zuvor.
Bitterer Rückschlag als Trainerin
Während ihrer Zeit als Trainerin der Schweizerinnen musste Béatrice von Siebenthal einige Rückschläge verkraften. «Es gab Momente, in denen ich hoffte, dass wir wirklich Fortschritte machen. Und dann kamen plötzlich wieder Niederlagen, die wirklich nicht hätten sein müssen», erinnert sie sich. «Die fehlende Stabilität – oft bedingt durch die Rahmenbedingungen – hat uns immer wieder zurückgeworfen.» Sie war sich bewusst, dass eine Entwicklung nicht einfach gradlinig verläuft. Niederlagen gehören zum Sport und der Umgang damit ist genauso wichtig wie der Sieg.
Die wohl schwerste Zeit erlebte sie 2011, als sich mehrere Spielerinnen direkt an den Verbandspräsidenten wandten und erklärten, nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten zu wollen. Kurz darauf erhielt sie die Kündigung. «Das war kein schöner Moment, ganz ehrlich. Es war schmerzhaft und hat mich persönlich sehr getroffen.» Mit dem Ende als Cheftrainerin verlor sie gleichzeitig auch ihre Funktion als Frauenverantwortliche und Leiterin des nationalen Ausbildungszentrums für Mädchen im Verband – alles zusammen war damals untrennbar mit der Trainerposition verbunden.
Nach dem Nationalteam arbeitete von Siebenthal noch für einige Zeit bei der Uefa und leitete Trainerkurse. Doch das Klassenzimmer zog sie bald wieder an – zurück in den Beruf, den sie neben dem Fussball auch so sehr schätzte. «Ich hätte dennoch gerne weiter im Fussball gearbeitet», sagt sie heute. «Aber damals war meine Arbeit noch nicht genug anerkannt, um in einem Nachwuchs- oder Super-League-Team als Trainerin in Betracht gezogen zu werden. Ich war einfach zu unbekannt.»
Ein Wechsel ins Ausland hätte finanzielle Einbussen bedeutet, und mit Ende 40 entschied sie sich bewusst gegen dieses Risiko: «Wäre ich jünger gewesen, hätte ich es vielleicht gewagt. Aber ich wollte auch nicht alles aufs Spiel setzen und bin deshalb in der Schweiz geblieben.» Etwas später – sie hatte soeben für ein weiteres Schuljahr zugesagt – bekam sie im Februar ein konkretes, lukratives Angebot aus dem Ausland. «Hätte ich das vorher erhalten, hätte ich es wohl angenommen.»
Ganz vom Fussball abgewandt hat sich von Siebenthal allerdings nie. Bis vor rund zwei Jahren leitete sie noch Trainerkurse für den Regionalverband. Auch für die Uefa war sie bis kurz vor der Pandemie immer wieder im Einsatz – sie leitete Seminare, beriet Verbände, machte Endrunden-Analysen und blieb so dem Sport auf ihre Weise treu. Heute übt sie ein kleines Mandat aus, im Rahmen dessen sie Spielerinnen als «Scout» beobachtet und beurteilt.
Mit Zuversicht ins erste Spiel
Diesen Sommer wird Béatrice von Siebenthal wieder ganz in den Fussball eintauchen – zumindest als Zuschauerin. «Ich habe natürlich Tickets für die Frauen-Europameisterschaft gekauft», sagt sie lachend. Besonders gespannt ist sie auf Spanien: «Die spielen technisch so sauber, das macht einfach Freude.» Aber auch die Deutschen haben es ihr angetan: «Si sy grausam guet zwäg», sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln in Oberbaselbieter Dialekt, der in all den Jahren in Bern eine leichte Färbung bekommen hat.
Für das Schweizer Team hofft sie auf eine Überraschung. «Sie können viel, müssen aber noch besser die Räume vor dem Tor nutzen.» Trotz einiger Rückschläge fürs Team im Vorfeld bleibt sie optimistisch: «Wenn die Spielerinnen mit Leidenschaft und Einsatz auftreten, werden sie die Fans auf ihrer Seite haben – und das ist für ein Nationalteam enorm wichtig und hilfreich.»
Für von Siebenthal ist der Fussball viel mehr als ein Spiel – er ist eine Herzensangelegenheit, der immer wieder neue Geschichten schreibt. Geschichten von Mut, Entwicklung und Zusammenhalt. Und darauf freut sie sich auch in diesem Sommer – auf dem «Tannenbrunn» in Sissach und weit darüber hinaus.
Die EM zu Hause
vs. Zum ersten Mal in der Geschichte findet vom 2. bis 27. Juli die Fussball-Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz statt. Die «Volksstimme» rückt bis zum Grossanlass verschiedene Personen, Anlässe und Themen rund um den Frauenfussball ins Zentrum.