Kanton bewahrt Webstuhl-Wissen
15.07.2025 BaselbietOrtsmuseen beteiligen sich an Projekt zu Seidenbandweberei
Das kantonale Amt für Kultur führt von 2025 bis 2027 das Projekt «Seidenband jetzt!» durch. Ziel ist es, das Wissen zur Seidenbandweberei, die im Baselbiet eine lange Geschichte hat, zu sichern und der ...
Ortsmuseen beteiligen sich an Projekt zu Seidenbandweberei
Das kantonale Amt für Kultur führt von 2025 bis 2027 das Projekt «Seidenband jetzt!» durch. Ziel ist es, das Wissen zur Seidenbandweberei, die im Baselbiet eine lange Geschichte hat, zu sichern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Martin Stohler
Von der Mitte des 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert war die Seidenbandweberei die dominierende Industrie in der Region Basel. Ihre Anfänge gehen auf das Zeitalter der Reformation und Gegenreformation zurück, als Basel ein Zufluchtsort für protestantische Glaubensflüchtlinge wurde. Unter ihnen waren italienische Samtweber und Seidenfärber sowie Flüchtlinge aus den Niederlanden, die das nötige Know-how für die Posamenterei, das Weben von seidenen Bändern, Borten und Fransen, mitbrachten.
Ab dem 17. Jahrhundert wurde die Bänderproduktion mit Heimweberinnen und -webern im Verlagssystem auf der Landschaft betrieben. Mit der Zeit, auch dank technischer Innovationen, expandierte die Heimposamenterei stark.
Zusätzlich entstanden im 19. Jahrhundert Fabriken, in denen Seidenbänder hergestellt wurden. Erste Bandfabriken wurden in Basel in den 1830er-Jahren gegründet, in den 1860er-Jahren folgten Fabriken auf der Landschaft. Damit verschob sich der Anteil der Heimposamenterinnen und -posamenter an der Seidenbandproduktion laufend. In den 1860er-Jahren stand von den mehr als 6000 Webstühlen, die in Betrieb waren, erst ein Viertel in Fabrikhallen. Im Jahr 1908 wurden bereits 3090 Fabrikwebstühle gegenüber 4057 Heimwebstühlen gezählt.
Mit den Fabrikgesetzen von 1868 (BL) und 1869 (BS) wurde die Arbeit in den Fabriken reguliert. Entsprechende Schutzbestimmungen gab es in der Heimposamenterei nicht, die häufig als Konjunkturpuffer genutzt wurde. Auf Zeiten, in denen es keine Arbeit gab, folgten solche, in denen die ganze Familie ihr Äusserstes leisten musste, um alle Aufträge erledigen zu können.
Eine Erleichterung brachte die Elektrifizierung des Baselbiets um das Jahr 1900. Diese ermöglichte es den Heimposamentern, die handbetriebenen Webstühle mit einem Elektromotor auszurüsten. Damit wurde die Arbeit weniger beschwerlich und das Gewebe regelmässiger.
2001 schloss die letzte Fabrik
Die 1920er- und 1930er-Jahre leiteten den ökonomischen Niedergang der Seidenbandindustrie ein. Seidenbänder hatten lange Zeit vielfältige Verwendung in der Modebranche gefunden. Nun verdrängten neue Modetrends das Seidenband immer mehr. Zudem setzte die Ende der 1920er-Jahre ausbrechende Weltwirtschaftskrise den Unternehmen derart zu, dass viele Bandfirmen damals ihren Betrieb einstellen mussten. Auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg brachte keinen neuen Aufschwung. Dies obwohl nun vor allem funktionale Bänder wie Etiketten-, Reissverschluss- und Klettverschlussbänder hergestellt wurden. Mit Fabriken in Billiglohnländern konnten die Baselbieter Firmen auf Dauer nicht konkurrieren. Ende 2001 schloss die Senn & Co. AG als letzte regionale Bandfirma ihre Fabrik im Baselbiet.
Zu diesem Zeitpunkt gab es keine Baselbieter Heimposamenterinnen und -posamenter mehr. Die letzte von ihnen hatte sich bereits 13 Jahre früher zur Ruhe gesetzt. Damit waren die Webstühle, deren Rattern einst in Fabrikhallen und Posamenterstuben erklang, im Baselbiet zu reinen Museumsobjekten geworden.
Betrieb und Unterhalt von Webstühlen setzen grosses Wissen und viel Erfahrung voraus. Mit dem Projekt «Seidenband jetzt!» sollen dieser Erfahrungsschatz und die mit ihm verbundenen Geschichten für die Zukunft gesichert werden. Ein Kernstück des Projekts ist die Zusammenarbeit des Museum.BL und der regionalen Ortsmuseen mit Fokus auf die Posamenterei. So sollen die Ausstellungen aller beteiligten Museen aufeinander verweisen. Konkret geht es dabei um Vermittlungsinhalte zur Seidenbandweberei, um Webstuhltypen, Webvorführungen und Biografien von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Einbezogen wird auch die Koordinationsgruppe «Webstuhlrattern», die sich 2016 aus Absolventinnen und Absolventen der Webstuhltechnik-Ausbildung formiert hat und ebenfalls Weberinnen und Weber umfasst.
«Ziel des Projekts ist es auch», so Marc Limat, Leiter des Kantonsmuseums in Liestal, «breite Bevölkerungsgruppen für dieses einzigartige Kulturerbe zu begeistern und so neue Träger dieser lebendigen Tradition zu finden.» Dazu soll neben der bestehenden Dauerausstellung «Seidenband. Kapital, Kunst und Krise» ein im Seidenband-Depot am Benzburweg in Liestal entstehendes Vermittlungsprogramm für Schulklassen, die interessierte Öffentlichkeit sowie ein Fachpublikum beitragen.
Erschlossen und erforscht werden derzeit im Museum.BL die beiden jüngsten Sammlungszugänge, die Nachlässe der Firmen Senn & Co. AG und Vischer & Cie Seidenbandfabrikation. Sie sollen in geeigneter Form dereinst ebenfalls der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Beteiligte Ortsmuseen
sto. Neben dem Museum.BL und der Koordinationsgruppe «Webstuhlrattern» sollen in das Projekt «Seidenband jetzt!» die folgenden Ortsmuseen miteinbezogen werden: Posamenterstube Anwil, Dorfmuseum Bennwil, Webstuhlmuseum Bretzwil, Krippen- und Spielzeugmuseum Bubendorf, Ortsmuseum Frenkendorf, Ortssammlung Gelterkinden, «Silo 12» in Läufelfingen, Heimatmuseum Oltingen-Wenslingen-Anwil, Ortsmuseum zum Feld in Reigoldswil, Heimatmuseum Sissach, Webstube Tenniken und Dorfmuseum Ziefen.