«Schutz der Lebens grundlagen» – «Verarmung»
28.01.2025 BaselbietAm 9. Februar kommt die Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen an die Urne. Sie verlangt, dass die Schweiz künftig nur so viele Ressourcen nutzt, wie die Natur ersetzen kann. Den bürgerlichen Parteien und der Wirtschaft geht die Initiative zu weit.
Wie ist ...
Am 9. Februar kommt die Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen an die Urne. Sie verlangt, dass die Schweiz künftig nur so viele Ressourcen nutzt, wie die Natur ersetzen kann. Den bürgerlichen Parteien und der Wirtschaft geht die Initiative zu weit.
Wie ist die Ausgangslage?
«Bund und Kantone streben ein auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneuerungsfähigkeit einerseits und ihrer Beanspruchung durch den Menschen andererseits an»: Das steht in der Bundesverfassung. Der Bundesrat hält fest, dass die Schweiz Fortschritte erzielt habe in verschiedenen Umweltbereichen. Die natürlichen Lebensgrundlagen seien aber nach wie vor stark belastet.
Was verlangt die Initiative?
Ihr Ziel ist der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Für wirtschaftliche Tätigkeiten in der Schweiz sollen nur noch so viele Ressourcen genutzt werden dürfen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Das bedingt einen Wirtschaftswandel: Neu sollen das Wohl von Mensch und Umwelt im Zentrum stehen und nicht mehr Gewinne. Voraussetzungen für die Umstellung wären eine Ausbildungsoffensive, die Förderung von nachhaltigen Arbeitsstellen und Geld für ökologische Transportwege. Bund und Kantone müssen dafür sorgen, dass die Umweltbelastung durch Konsum die planetaren Grenzen entsprechend dem weltweiten Bevölkerungsanteil der Schweiz nicht mehr überschreitet. Dieses Ziel muss nach der Annahme der Initiative innerhalb von zehn Jahren erreicht sein.
Was sind planetare Grenzen?
Die planetaren Grenzen legen den Handlungsraum fest, innerhalb dessen die verbrauchten Ressourcen durch die Natur regeneriert werden können. Das 2009 von Wissenschaftlern präsentierte Konzept deckt mittlerweile neun Bereiche ab, etwa die Nutzung von Süsswasser, Funktion der Biosphäre, Klima und Aerosole in der Atmosphäre. Gemäss Studien sind in der Schweiz Grenzwerte in Bereichen wie etwa Klima, Biodiversität und Süsswasser überschritten.
Was sind die Folgen der Initiative?
Mit welchen Massnahmen und allenfalls Verboten oder Einschränkungen die Initiative umgesetzt werden soll, gibt der Text nicht vor. Verlangt wird indessen ein sozialverträgliches Vorgehen. Laut Initiativkomitee sollen in erster Linie «sehr reiche Menschen und Konzerne» Verantwortung wahrnehmen, Haushalte mit wenig Einkommen dagegen nicht zusätzlich belastet werden. Kleine und mittelgrosse Unternehmen sollen beim Wandel unterstützt werden.
Wer ist im Ja-Lager?
Hinter der Initiative steht die Allianz für Umweltverantwortung. Unterstützt wird sie von SP, Grünen, EVP, Junge Grünen, den Jungsozialisten und der Jungen EVP. Gestützt wird die Initiative auch von Umweltorganisationen wie zum Beispiel Greenpeace, Pro Natura und Bird Life Schweiz sowie von der Klimastreik-Bewegung und der Kleinbauern-Vereinigung.
Was sagen die Befürworter?
Die Befürworter argumentieren mit der Klimakrise: Diese sei aktuell, und ein «Weiter so» keine Option. 2023 habe die Hitze zusätzliche Todesfälle verursacht. Bei den schweren Unwettern von 2024 seien mehrere Menschen umgekommen und die Schäden seien gross. Grosskonzerne wollten so viel Profit wie möglich erwirtschaften, auf Kosten der Gesundheit und der Umwelt. Schädlich für die Umwelt sei auch übermässiger Konsum. Die Schweiz als reiches Land müsse ihre Verantwortung gegenüber den Ländern im Globalen Süden wahrnehmen. Diese trügen nur wenig zur Klimakrise bei, müssten die Folgen davon aber hauptsächlich tragen.
Wer ist im Nein-Lager?
Dem Bundesrat und dem Parlament geht die Initiative zu weit; sie empfehlen den Stimmenden, ein Nein einzulegen. Die Nein-Parole ausgegeben haben auch SVP, FDP, «Mitte» und GLP, mehrere Wirtschaftsverbände und die Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete.
Was sagen die Gegner?
Die überparteiliche gegnerische Allianz spricht von einer «Verarmungs-Initiative». Die Umweltverantwortungsinitiative sei utopisch, unsinnig und unverantwortlich. Ein Ja würde Preise explodieren lassen und dem Wohlstand zusetzen. Mietkosten, Lebensmittelpreise und vor allem Mobilitätskosten würden in die Höhe schnellen. Bundesrat und Parlament warnen vor einschneidenden Folgen: Bund und Kantone müssten den Konsum rasch mit weitreichenden Massnahmen einschränken. Viele Unternehmen müssten ihre Produktion anpassen oder einstellen. Auch halten Bundesrat und Parlament die verlangte Umstellungsfrist von zehn Jahren für «realitätsfern».
Wie viel Geld wird in den Wahlkampf investiert?
Für die Abstimmungskampagnen stehen vergleichsweise wenig Gelder zur Verfügung. Das Ja-Lager budgetiert rund 234 000 Franken, die Gegner investieren mit 450 000 Franken rund das Doppelte in den Abstimmungskampf. Das zeigen Zahlen der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Zum Vergleich: Bei der Biodiversitätsinitiative im vergangenen Herbst flossen insgesamt 6,1 Millionen Franken in den Abstimmungskampf. Die Befürworter gaben bei dieser Vorlage doppelt so viel Geld für den Abstimmungskampf aus wie die Gegner – letztlich ohne Erfolg. sda.
DARUM STIMME ICH JA
Drei Erden sind zwei zu viel
Dominique Zbinden, Landrätin Grüne, Itingen
Als Grundlage für die eidgenössische Umweltverantwortungsinitiative dient das Modell der planetaren Grenzen. Dieses wissenschaftliche Modell zeigt die Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten auf. Heute sind bereits sechs dieser neun im Modell enthaltenen Grenzen überschritten. Dazu gehören zum Beispiel der Klimawandel, die Landnutzung und die Störung der Stoffkreisläufe. Die Initiative möchte, dass die Schweiz bis in zehn Jahren die planetaren Grenzen einhält.
Bei der Produktion von neuartigen Stoffen (beispielsweise Plastik) befinden wir uns bereits in der sogenannten Hochrisikozone. Eine Folge davon sind die grossflächigen Vorkommen von Mikroplastik in unserer Umwelt. Auch die aktuellen Diskussionen um die schweizweiten PFAS-Vorkommen fallen unter diesen Punkt.
Besonders dramatisch ist die Situation auch beim Verlust der Artenvielfalt. Bereits heute ist ein Drittel der in der Schweiz vorkommenden Arten gefährdet – viele davon aufgrund von Lebensraumverlust. Besonders betroffen sind Arten, die in und an Gewässern leben. Denn die Gewässer in der Schweiz sind oft stark verbaut und entsprechen nicht mehr einem natürlichen Lebensraum.
Ein weiteres Problem für viele Tier- und Pflanzenarten sind die hohen Stickstoff- und Phosphoreinträge. Denn: Über die Luft gelangt Stickstoff auch auf Flächen weit ausserhalb der Landwirtschaftszonen, etwa Wälder und Naturschutzgebiete, und verändert dabei die Nährstoffbedingungen. Dadurch verschwinden Arten, die auf nährstoffarme Lebensräume spezialisiert sind. Auch dieser Eingriff in die Stoffkreisläufe wird als planetare Grenze abgebildet und befindet sich bereits heute im Hochrisikobereich.
Das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen planetaren Grenzen zeigt auf, dass wir einen allum fassenden Lösungsansatz brauchen. Hier setzt die Umweltverantwortungsinitiative an. Sie möchte, dass sich die Politik in den nächsten Jahren für eine zukunftsfähige Wirtschaft einsetzt.
Denn nur mit einem systemischen Ansatz können die grossen Probleme der Gegenwart und der Zukunft angegangen werden. Natürlich können wir gleichzeitig auch weiterhin unsere PET-Flaschen rezyklieren und unsere Plastiktaschen durch Jutebeutel ersetzen. Diese kleinen Dinge sind wichtig, sie reichen allerdings nicht aus, um das Steuerrad herumreissen zu können.
Heute leben wir auf Kredit unserer nächsten Generationen. Die Umweltverantwortungsinitiative fordert, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Wir sollten nur so viele Ressourcen verwenden, wie uns zur Verfügung stehen. Heute brauchen wir Schweizerinnen und Schweizer beinahe drei Erden. Lasst uns dafür sorgen, dass eine ausreicht.
DARUM STIMME ICH NEIN
KMU könnten ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren
Andrea Kaufmann-Werthmüller, Landrätin FDP, Waldenburg
Die Umweltverantwortungsinitiative (UVI) fordert, dass Unternehmen für Umwelt- und Menschenrechtsverstösse entlang ihrer gesamten Lieferketten haften, auch im Ausland. Zwar ist der Umweltschutz ein wichtiges Ziel, doch die Initiative birgt erhebliche Nachteile, die ihre Annahme problematisch machen.
1. Wirtschaftliche Belastungen und Wettbewerbsnachteile: Die Initiative würde Schweizer Unternehmen vor enorme Herausforderungen stellen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Diese haben weder die finanziellen noch die personellen Ressourcen, um die umfangreichen Prüf- und Kontrollpflichten umzusetzen, welche die Initiative fordert. Grosse Unternehmen könnten sich solche Anforderungen leisten, während KMU Gefahr laufen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Infolgedessen könnten Unternehmen ins Ausland abwandern, was zu Arbeitsplatzverlusten und einem Rückgang der Steuereinnahmen führen würde.
2. Rechtsunsicherheit und Bürokratie: Die Initiative schafft rechtliche Unsicherheit, indem sie Unternehmen auch dann haftbar macht, wenn diese alle Sorgfaltspflichten beachtet haben. Dies führt zu einem erhöhten Risiko von Klagen und rechtlichen Auseinandersetzungen, die nicht nur Unternehmen belasten, sondern auch die Wirtschaft insgesamt schwächen würden. Zudem würde die Umsetzung der Initiative einen erheblichen bürokratischen Aufwand mit sich bringen, der Innovationen und Investitionen hemmen könnte.
3. Auswirkungen auf Entwicklungsländer: Die Initiative könnte die Situation in Entwicklungsländern verschlechtern. Unternehmen, die in solchen Ländern tätig sind, könnten sich aufgrund der Haftungsrisiken zurückziehen. Das würde Arbeitsplätze gefährden und lokale Wirtschaften destabilisieren. Stattdessen sollte die Schweiz auf freiwillige Partnerschaften setzen, die sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch den Umweltschutz fördern, ohne Entwicklungsländer negativ zu beeinflussen.
4. Bereits bestehende Massnahmen und internationale Zusammenarbeit: Die Schweiz hat bereits Massnahmen zum Umweltschutz und zur Wahrung der Menschenrechte eingeführt, die auf internationaler Zusammenarbeit basieren. Statt zusätzlich bürokratische Hürden zu schaffen, sollten diese bestehenden Initiativen gestärkt werden. Ein global koordinierter Ansatz hat mehr Potenzial, echte Veränderungen zu bewirken, als ein nationaler Alleingang.
Fazit: Die UVI ist ein gut gemeinter Vorschlag, der jedoch mehr Nachteile als Vorteile bringt. Die wirtschaftlichen Belastungen, die rechtliche Unsicherheit und die potenziellen negativen Auswirkungen auf Entwicklungsländer sprechen gegen eine Annahme der Initiative. Stattdessen sollte die Schweiz weiterhin auf internationale Zusammenarbeit setzen, um Umweltschutz und Menschenrechte effektiv zu fördern.