«Rössli» lebt wieder auf
31.05.2025 OberdorfWiedereröffnung im August – bedeutende Kochbuchsammlung wird gezeigt
Nach mehr als einem Jahr Stillstand findet das Gasthaus Rössli in Oberdorf eine neue Bestimmung. Ab August öffnet die traditionsreiche Beiz wieder und wird Teil einer ungewöhnlichen ...
Wiedereröffnung im August – bedeutende Kochbuchsammlung wird gezeigt
Nach mehr als einem Jahr Stillstand findet das Gasthaus Rössli in Oberdorf eine neue Bestimmung. Ab August öffnet die traditionsreiche Beiz wieder und wird Teil einer ungewöhnlichen Partnerschaft: Sie soll zum lebendigen Schauplatz der Sammlung des Schweizerischen Gastronomiemuseums werden.
David Thommen
Das 1750 erbaute «Rössli», 2004 mit dem Baselbieter Heimatschutzpreis ausgezeichnet, stand zuletzt exemplarisch für die Krise vieler ländlicher Beizen: Die letzten beiden Pächter scheiterten an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die sich seit der Corona-Pandemie nochmals verschärft haben. Statt erneut eine klassische Pachtlösung anzustreben, haben die Eigentümer Heini Dalcher und Jakob Steinmann gemeinsam mit Fabienne Ballmer, der Präsidentin von «GastroBaselland», ein neues Konzept in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Gastronomiemuseum in Thun entworfen. Ballmer, die in Oberdorf aufgewachsen und Stiftungsrätin des Gastronomiemuseums ist, stellte den Kontakt her.
Kern der Idee ist, zumindest Teile der einzigartigen Sammlung des Schweizerischen Gastronomiemuseums ins historische «Rössli» zu integrieren. Verbunden damit soll der Restaurantbetrieb im August mit reduzierten Öffnungszeiten wieder seinen Betrieb aufnehmen. Die Suche nach einer Gastgeberin oder einem Gastgeber sei schon weit gediehen, fix sei aber noch nichts, sagte Dalcher.
Die Sammlung umfasst gemäss Museum rund 12 000 Kochbücher mit einem gewissen Wert aus einem halben Jahrtausend sowie rund 1500 Objekte – darunter historische Menükarten, Zertifikate, Küchenmaschinen oder Beizenalltagsartikel wie alte Aschenbecher – Zeugnisse vergangener Gastrokultur.
Kulturgut zum Anfassen
«Wir suchen Partner, die unsere Bibliothek bewahren und öffentlich zugänglich machen», heisst es derzeit in einem Aufruf auf der Website des seit 2023 geschlossenen Museums. Diese Rolle will das «Rössli» nun übernehmen. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde unterzeichnet, wie Ballmer und Dalcher an einer Medienorientierung in Oberdorf erklärten. Noch sei der genaue Rahmen der Kooperation aber offen – Entscheide des Stiftungsrats stünden noch aus.
Im Unterschied zum klassischen Museum sollen die Exponate im Oberdörfer Gasthaus aktiv genutzt werden. Denkbar sind Pop-up-Dinner mit Gastköchinnen und -köchen, die alte Rezepte aus der Sammlung nachkochen oder neu interpretieren, sowie Recherchemöglichkeiten für Gastronominnen und Gastronomen. Und die Gäste sollen einfach auch nur nach Lust und Laune in den Kochbüchern «schneuggen» können. Das grosse «Rössli»-Gebäude mit seinem musealen Charakter biete für die Bibliothek ausreichend Platz, so Dalcher. Einige seltene Kochbücher seien sehr wertvoll und würden heute auf dem freien Markt für mehr als 10 000 Franken gehandelt. Besonders hervorzuheben sei die einzigartige Sammlung historischer Menükarten, die kulinarische Trends seit 1750 dokumentiert. Für «Rössli»-Miteigentümer Steinmann ein «Fundus für kulinarische Zeitreisen». Anhand der Speisekarten könne man nachvollziehen, wie sich der Zeitgeist gewandelt habe.
Ballmer betont den doppelten Nutzen: «In dieser Sammlung steckt die DNA der Schweizer Gastronomie. Die Objekte sollen nicht im Depot verstauben, sondern wieder erlebbar werden.» Seit der Schliessung des Museums lagern Bücher und Artefakte verpackt in einer Thuner Zivilschutzanlage. Für Infrastruktur wie klimatisierte Lagerräume oder Bibliotheksmobiliar im «Rössli» soll nun Unterstützung bei Kanton und Sponsoren gesucht werden.
Flexibilität als Rezept
Die grösste Herausforderung bleibt die Wirtschaftlichkeit des Restaurantbetriebs. «GastroBaselland»-Präsidentin Ballmer: «Hohe Pachtzinsen sind eines der Hauptprobleme unserer Gastronomie.» Statt fixer Pachtkosten denken die Besitzer über ein Umsatzbeteiligungsmodell nach, um den Druck auf künftige Betreiber zu verringern. Das von ihnen im Jahr 2000 erworbene «Rössli» sei für sie ein Herzensprojekt und kein Renditeobjekt, betonen Dalcher und Steinmann.
Nach der Wiedereröffnung im August sei ein klassischer Vollbetrieb an sechs oder sieben Tagen pro Woche nicht mehr zeitgemäss. Erfahrungen aus dem «Ochsen» in Oltingen, wo Dalcher mit dem Verein Kulturgut Dorfbeiz aktiv ist, zeigten, dass reduzierte Öffnungszeiten von der Kundschaft akzeptiert werden – sofern die Kommunikation mit den Gästen stimme. Künftig orientiert sich der Betrieb im «Rössli» am Veranstaltungskalender und der Nachfrage vorab aus dem Dorf.
Hoden oder Hirn
Ab August sollen erste Kisten mit Kochbüchern und Objekten im «Rössli» einziehen. Die Sammlung des Schweizerischen Gastromuseums geht auf den Barkultur-Pionier und Kochbuchautor «Harry» Schraemli (1904 – 1995) zurück und wurde durch zahlreiche Schenkungen ergänzt. Neben prachtvollen Bänden finden sich auch Kuriositäten – etwa ein Kochbuch mit Rezepten für Hoden oder Hirn. «Gerade diese Vielfalt macht den Wert der Sammlung aus», so Ballmer.
Für Architekt Heini Dalcher, der seine Wurzeln in Sissach hat und schon durch Projekte wie die Rettung und Modernisierung des Kurhauses Bergün (GR) aufgefallen ist, geht die Vision über Oberdorf hinaus: «Wenn Kulturförderung und Gastronomie zusammenarbeiten, kann dieses Modell Schule machen.» Das «Rössli 2.0» solle kein Museum sein, sondern ein Ort, an dem Schweizer Gastronomiegeschichte weiterlebt – und in Küche und Gaststube riech- und schmeckbar wird.