Abschied vom «Krokodil»
03.06.2025 Bezirk Sissach, Gemeinden, Baselbiet, ZunzgenDer SBB-Lokführer Martin «Tinu» Abt stand 20 Jahre im Führerstand
Martin «Tinu» Abt aus Zunzgen blickt auf 34 Jahre Lokführerdienst zurück – darunter zwei Jahrzehnte auf dem legendären «Krokodil». Jetzt absolvierte er ...
Der SBB-Lokführer Martin «Tinu» Abt stand 20 Jahre im Führerstand
Martin «Tinu» Abt aus Zunzgen blickt auf 34 Jahre Lokführerdienst zurück – darunter zwei Jahrzehnte auf dem legendären «Krokodil». Jetzt absolvierte er die letzte Fahrt mit seiner Herzenslok, bleibt der historischen Eisenbahn aber treu – im Trans-Europe-Express (TEE).
Lorenz Degen
Die grossen Vitrinen mit Lokomotiv-Modellen weisen darauf hin: Hier wohnt ein Freund der Eisenbahn. Die allermeisten der aufgereihten Lokomotiven kennt Martin Abt (55), den alle «Tinu» nennen, aus einer Perspektive, die nur wenige haben: Er ist Lokführer bei den SBB, seit fast 34 Jahren.
Aufgewachsen ist Abt in Waldenburg. Seine erste Erinnerung mit Eisenbahn-Bezug spielte sich am dortigen Bahnhof ab. «Es war etwa um 1975 herum: Mein Vater durfte mit Arbeitskollegen einen Ausflug mit dem Dampfzug der Eurovapor unternehmen. Meine Mutter und ich begleiteten ihn an den Bahnhof, mussten dann aber wieder heim, was mir absolut gegen den Strich ging. Dieses Bild des abfahrenden Dampfzugs hat sich tief eingeprägt.»
In der Revue Thommen absolvierte Abt eine Lehre als Feinmechaniker, dann rückte er in die Rekrutenschule ein und meldete sich als Lokomotivführer-Anwärter. «Am 2. Mai 1991 fing ich meine Ausbildung in Basel an. Damit war ich an meinem Ziel, ich wollte immer zur Eisenbahn.»
Starke Veränderungen
Ein Vergleich mit dieser Zeit zeigt den enormen Wandel: «Die SBB waren damals eine ganz andere Bahn als heute. Jede Station war noch bedient, es gab Rangiertraktoren und Güterzustellung. Die Unterscheidung in Personen- und Güterzuglokführer bestand noch nicht, zudem gehörten auch Diesellokomotiven zum Ausbildungsprogramm. Wir bedienten damit unter anderem die Rheinhäfen und die Rangierbahnhöfe.»
Beim Rollmaterial hat eine regelrechte Umkehrung stattgefunden: «Die bei meinem Anfang modernste Lokomotive, die Re 460, ist heute fast die älteste Maschine!», resümiert Abt, der noch mit heute nur noch historisch genutzten Ae 3/6 I oder Ae 4/7 im Regelbetrieb fuhr – nach Pruntrut, Biel, Bern, Luzern oder Zürich. «Ich bin auch noch Schnellzüge von Basel nach Winterthur gefahren, bevor der Abschnitt Laufenburg-Koblenz für den Personenverkehr stillgelegt wurde.» Heute gehören der Gotthard- und Ceneri-Basistunnel bis Lugano und sogar Chur zu seinen Endbahnhöfen.
Gleich geblieben ist die schwierige Freizeitgestaltung: «Mit den wechselnden Arbeitszeiten ist es nicht einfach, in Vereinen mitzuwirken.» Abt spielt gerne in einer musikalischen Kleinformation. «Die Hälfte der Proben verpasse ich jeweils und übe für mich daheim. Aber Lokführer ist für mich der schönste aller Berufe, der mir so viel Freude macht, da nehme ich diese Einschränkungen in Kauf.»
Seine grosse Passion gilt der wohl berühmtesten Lokomotive der Schweiz, dem «Krokodil». Es gibt verschiedene Varianten dieses Typs, drei davon sind hierzulande betriebsfähig. Früher in Basel, heute in Olten beheimatet ist dasjenige mit der Bezeichnung Ce 6/8 III und der Nummer 14305. Betreut wird es von einer Gruppe engagierter Freiwilliger, die sich um den Unterhalt kümmert und damit Extrafahrten auf Bestellung durchführt. In diesen Kreis kam Abt durch den Lokführerkollegen Kurt Stuber, er hätte aber nicht zu jedem Engagement für ein historisches Fahrzeug Ja gesagt: «Mit Dampflokomotiven kann ich gar nichts anfangen. Ich schaue sie gerne an, aber selbst damit zu fahren, hat mich nie gereizt.» Doch die grüne Veteranin mit ihren 65 km/h Höchstgeschwindigkeit war für ihn ein Ausgleich zum raschen und immer stärker elektronischen Bahnalltag. «Man spürt die Bewegungen und erlebt die Kraft der Technik direkt.»
Unvergessliche Schwedenfahrt
Highlights gab es für den Baselbieter Lokführer viele, seitdem er vor 20 Jahren in die «Krokodil»- Gruppe aufgenommen wurde: «Einmal kam ein Brasilianer in den Führerstand, der weinte vor Freude. Er besass zu Hause ganz viele Modelle des ‹Krokodils› und stand nun zum ersten Mal in der richtigen Lokomotive. Extra deswegen kam er nach Göppingen (D) und war überglücklich.» Bei den Fahrten überragt die Schwedenreise im Herbst 2015 alle Erlebnisse: «Zuerst hielten wir die Anfrage, das ‹Krokodil› für ein Eisenbahnjubiläum nach Schweden zu bringen, für eine verrückte Idee. Mit der Zeit reifte der Plan jedoch zu einem konkreten Vorhaben und wir nahmen dieses Wagnis in Angriff.» Unterwegs in Deutschland erlitt das Krokodil bei Seddin einen Defekt am Fahrwerk: «Man musste über Nacht ein neues Lager giessen und einpassen. Ich war der Fahrer der Reparaturgruppe und fuhr mit den Kollegen zur etwa 200 Kilometer entfernten Werkstatt in Wernigerode und wieder zurück!» Das «Krokodil» setzte sich wieder in Bewegung und die Reise ging weiter über Dänemark und im Bahntunnel unter dem Meer hindurch nach Stockholm. In Gävle angekommen, gab es buchstäblich einen grossen Bahnhof: «Wir erlebten wunderbare Tage, die Begeisterung für unser Krokodil war enorm.»
Doch künftig wird Abt die mächtigen Triebstangen nicht mehr in Bewegung setzen. Der Entscheid, das geliebte Reptil zu verlassen, fiel ihm nicht leicht. «Ich liebe diese Maschine, aber in der letzten Zeit hat meine Freude nachgelassen und ich spürte, es ist Zeit für einen Wechsel.» Seine letzte Fahrt mit dem «Krokodil» absolvierte Abt im letzten September. Es war eine Rundfahrt von Olten über Läufelfingen nach Basel und durchs Laufental nach Lengnau und wieder nach Olten.
Ganz loskommen von historischen Fahrzeugen wird der Zunzger jedoch nicht. Weiterhin bleibt er speziell geschulter Lokführer für den Trans-Europe-Express (TEE), der ebenfalls in Olten stationiert ist. Mit diesem schicken Zug (Baujahr 1961) wird er für Sonderfahrten quer durch die Schweiz unterwegs sein – nun schneller und eleganter.