SPRACHPOLIZEI
24.01.2025 BaselbietSchreiben lernen vom King
«Ich bin überzeugt, dass die Strasse zur Hölle mit Adverbien gepflastert ist», schreibt Stephen King auf Seite 153 und vergleicht die Wortart mit dem Löwenzahn. Einzeln sehe er hübsch und einzigartig aus. Doch wer ...
Schreiben lernen vom King
«Ich bin überzeugt, dass die Strasse zur Hölle mit Adverbien gepflastert ist», schreibt Stephen King auf Seite 153 und vergleicht die Wortart mit dem Löwenzahn. Einzeln sehe er hübsch und einzigartig aus. Doch wer ihn nicht auszupft, merke schnell, dasses sich um Unkraut handle. Der amerikanische Star-Autor räumt aber kurz darauf ein, hier selber ein «ordinärer Sünder» zu sein. In die gleiche Kerbe schlägt er, wenn er feststellt: «Sprache muss nicht immer in Krawatte und Schnürsenkel daherkommen».
Über 40 grosse Horror-Geschichten hat der Amerikaner verfasst. Ihnen allen wurde in den Auslagen der Buchhandlungen stets die besten Plätze zugewiesen. Vor 25 Jahren hat er, während er sich von einem Horror-Unfall («Horror» wird kein drittes Mal verwendet, versprochen!) erholte, zusätzlich ein Buch mit dem Titel «Das Leben und das Schreiben» verfasst. Darin erteilt er angehenden Autorinnen und Autoren, nicht nur von Krimis, augenzwinkernd Ratschläge, wie gute Texte entstehen.
Diese Tipps sind eingebettet in seine eigene Biografie, in der er auch offen über seine lange Phase berichtet, in der abhängig war von Alkohol und Drogen. Er war fest davon überzeugt, dass sein Schreiben ohne diese Substanzen ins Stocken gerät. In der grossen Literatur wird das als Hemingway-Mythos bezeichnet. In der kleinen Welt der Fasnachts-Poeten ist der Irrglaube ebenfalls tief verwurzelt. Der «Aigebrötler», der es ohne Weissen kann, würde hier der «Volksstimme» bestimmt beipflichten. Die Sache mit dem Alkohol sei, nochmals King, «einer der grossen intellektuellen Pop-Mythen unserer Zeit».
Seine Ratschläge zum besseren Schreiben kommen aus berufenem Mund. Wie er in seinem Sachbuch ausführt, würden seine Bücher nie sein Millionen-Publikum erreichen, würden sie ihm, dem Publikum, neben einer spannenden Handlung nicht auch noch ein Lesevergnügen bieten. Stephen King warnt in seinem über 300 Seiten dicken Taschenbuch auch davor, krampfhaft nach Alternativen zum Verb «sagen» zu suchen oder mit zu vielen Pronomen zu arbeiten. «Ich hasse Pronomen, misstraue ihnen, jedes ist so schmierig wie diese windigen Winkeladvokaten», schreibt er und ruft wiederholt dazu auf: «Tötet eure Lieblinge, tötet Eure Lieblinge, selbst wenn es euch dabei das egoistische Schreiberlingsherz bricht!» Will heissen: Alle, die schreiben, pflegen ihre Marotten, Macken und Mödchen, zum Beispiel die Alliterationen. Sie müssen zuerst entdeckt und danach selbstkritisch ausgerottet werden. Und dann noch dies: «Wenn Sie Schriftsteller werden wollen, müssen Sie vor allem zweierlei tun: viel lesen und viel schreiben.»
Was aber hat das alles mit der «Volksstimme» von heute zu tun? Viel. Da wäre alleine das Gendern. Die Frage, wie ein fliessender Text zu verfassen ist, der nicht die Hälfte der Leserinnen und Leser von vornherein ausschliesst, musste sich der Autor vor 25 Jahren im englischen Sprachraum nicht stellen. King ist klug genug, sich selber nicht als unfehlbaren Papst hinzustellen. Tatsächlich stösst man auch einmal auf die Wendung «bereits schon», die sich bei uns im Fernsehen so hartnäckig hält wie der Löwenzahn in ungepflegten Gärten und an dieser Stelle auch schon zu Ehren kam. Doch dieser Fehler dürfte sich beim Übersetzen eingeschlichen haben.
Zudem fordert Stephen King die Redaktion in Sissach auch heraus, indem er schreibt: «Es gibt Unmengen von schlechten Schreibern. Manche von ihnen arbeiten in der Redaktion ihrer örtlichen Zeitung, für gewöhnlich besprechen sie kleine Theateraufführungen oder lassen sich hochtrabend über die heimischen Sportmannschaften aus. Sie ziehen eine Spur von pulsierenden Adverbien und scheusslichen Passivkonstruktionen hinter sich her.»
Mit einem Bericht über ein Basketballspiel für eines dieser kleinen Lokalblätter auf der ganzen Welt hat die unvergleichliche Laufbahn von Stephen King begonnen. Den zusätzlichen Sonderbericht über einen Spieler, der mit seiner Punktezahl den Schulrekord gebrochen hatte, zerzauste der Redaktor. «In weniger als zehn Minuten lernte ich dabei mehr über das Schreiben als in allen Schreibseminaren am College», schreibt King und druckt im Buch sogar sein kurzes Manuskript mitsamt den Korrekturen des Redaktors ab, um dieses Schlüsselerlebnis zu verdeutlichen. Die Fehler sind sprachlicher und inhaltlicher Natur.
Das erleben Volontärinnen und Volontäre an ihren ersten Arbeitstagen in Sissach in ähnlicher Form. Und hätte King seinen Text bei der «Volksstimme» statt bei der «Weekly Enterprise» eingereicht, wäre eine weitere Belehrung hinzugekommen: «Beginne nie einen Artikel mit ‹gestern Abend›, Stephen!»
Jürg Gohl
Stephen King: Vom Leben und vom Schreiben, Heyne-Verlag.