QUERPASS

  16.05.2019 Region

Ich habe eine Affäre

Wunderschön. Intensiv. Glücklich. Harmonisch. Stressig. Stürmisch. Bereichernd. Interessant. All das kann sie sein. Oft auch harte Arbeit. Eine Beziehung. Das ganze Leben besteht doch letztlich aus Beziehungen – zu was oder wem auch immer. Menschen, Tieren, Autos, Velos, Möbel. Oder zum Beruf. Da hat man im besten Fall eine treue und glückliche Verbindung, im schlechtesten Fall ist man Single und arbeitslos.

Das mit der Treue ist bei mir so eine Sache. Denn ich mag Abwechslung, immer wieder neue Herausforderungen. So hatte ich – rein auf mein Berufsleben bezogen – bereits mehrere Beziehungen. Meine erste grosse Liebe war der Print. Bei Zeitungen und Magazinen habe ich viele Erfahrungen gesammelt, intensive Phasen durchlebt. Und wie das so ist mit der grossen Liebe, dem Schreiben, sie geht nie wirklich vorbei.

Meine erste richtige Beziehung, weil erste Festanstellung, habe ich mit dem Fernsehen. Seit zweieinhalb Jahren sind wir glücklich zusammen. Alles wunderbar, doch momentan wird unser trautes Zusammensein auf die Probe gestellt. Denn, ich gebe es offen zu: Seit Anfang Mai habe ich eine Affäre. Wobei, dreimonatiger Redaktionsaustausch beim Radio klingt besser. Und jetzt ist das Fernsehen äusserst eifersüchtig.

Kommunikation ist ja in einer Beziehung das A und O. Und Freiraum lassen. Eine Partnerschaft soll beflügeln und bereichern und nicht einengen und lähmen. Deshalb haben das Fernsehen und ich lange diskutiert und sind überzeugt, dass wir gestärkt aus dieser Phase der – nennen wir es mal offenen Beziehung – hervorgehen werden.

Wir haben nun drei Monate Zeit, uns auszuleben. Also vor allem ich tue das. Denn das Fernsehen macht einfach so weiter wie bisher: Gleiche Sendungen, dieselben Abläufe. Während ich den Horizont erweitere und ein neues Handwerk erlerne.

Nach der ersten Woche mit meiner Affäre konstatiere ich: Sie ist sehr toll, manchmal hektisch und sehr intensiv. Alles ist neu, wir müssen uns noch aneinander gewöhnen. Wir sprechen Mundart statt Hochdeutsch miteinander, zudem muss ich viel mehr Knöpfe drücken als beim Fernsehen, damit es funktioniert. Radio machen braucht eine gute Fingerfertigkeit.

Und ich gebe es zu (bitte erzählen Sie es nicht dem Fernsehen): Ich bin schon ein bisschen verknallt ins Radio. Ich spüre da eine gewisse Anziehung. Es ist so unkompliziert, direkt, schnell und je nach Dienst hat man mit diversen Einschaltungen und Meldungen gleich mehrere Höhepunkte am Tag. Die nächsten drei Monate werde ich geniessen, im Wissen darum: Das Radio und ich – Affäre ja, Beziehung nein. Dafür liebe ich das Fernsehen zu sehr.
Seraina Degen

Seraina Degen (32) ist in Niederdorf aufgewachsen. Als Torhüterin spielte sie lange Fussball, heute bleibt sie beruflich am Ball – als Redaktorin bei SRF Sport.


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