EBL «übt» in Deutschland

  07.09.2018 Bezirk Liestal

 

Am 1. Juli hat Tobias Andrist den langjährigen Direktor der Elektra Baselland (EBL), Urs Steiner, abgelöst. Andrist sieht sich mit einer grossen Herausforderung konfrontiert: der Liberalisierung des Schweizer Strommarkts.

David Thommen

«Volksstimme»: Herr Andrist, heute agiert die EBL noch in einem geschützten Markt, was die Kleinkunden betrifft. Haushalte oder KMU, die sich in Ihrem Verteilgebiet befinden, müssen den Strom zwingend bei der EBL kaufen. Das ändert sich bald …
Tobias Andrist:
Danach sieht es heute zumindest aus. Unsere Schätzung lautet, dass die vollständige Strommarktliberalisierung im Jahr 2023 Realität sein wird. Aber da Bundesrat und Parlamente nun am Zug sind, ist der Zeitplan etwas unberechenbar. Wie sie kommt, wann sie kommt und wie die Spielregeln sein werden – alles ist heute noch etwas unklar.

Dass die Liberalisierung kommt, scheint aber unausweichlich zu sein.
Selbst das ist meiner Meinung nach nicht in Stein gemeisselt. Allerdings besteht ein erheblicher Druck seitens der Europäischen Union. Sie würde dem Strommarktabkommen mit der Schweiz ohne diese Liberalisierung nicht zustimmen. Aber an diesem Abkommen hat die Schweiz höchstes Interesse.

Die EU ist das eine – wie sieht es mit dem Druck aus dem Inland aus?
Grossunternehmen können den Stromanbieter schon seit rund zehn Jahren frei wählen, sie drängen also nicht mehr. Und von den Privaten hören wir wenig, da der Strompreis bei den Haushalten kaum ins Gewicht fällt und auch stark reguliert ist. Hingegen gibt es bei vielen mittleren und grösseren Gewerbebetrieben einen gewissen Leidensdruck. Sie erhoffen sich von mehr Wettbewerb tiefere Energiekosten und besseren Service.

Die Aufhebung der Gebietsmonopole bedeutet für Stromanbieter wie die EBL zweifellos ein Erdbeben. Wie stark wird es?
Es wird auf jeden Fall eine totale Veränderung der Situation geben. Die Herausforderung für uns ist gross. Wir müssen auf der Hut sein vor der Konkurrenz und versuchen, unsere Kunden und deren Bedürfnisse besser zu verstehen. Um eine intensive Kundenbindung mussten wir uns in unserer komfortablen Situation bislang weniger kümmern.

Wie frei der Wettbewerb tatsächlich sein wird, weiss man erst, wenn die Politik gesprochen hat …
Die Sache ist letztlich hochkomplex. Es gibt in Europa verschiedene Liberalisierungsmodelle – alle haben Vorund Nachteile. Der Bund muss nun entscheiden, ob der Markt völlig frei wird oder ob es für wechselwillige Kunden mehr oder weniger hohe Hürden gibt. Je leichter den Kunden ein Wechsel gemacht wird, desto aggressiver wird der Markt.

In der EU hat die Öffnung schon stattgefunden. Lassen sich daraus Rückschlüsse ziehen, was die EBL zu erwarten hat?
Es sah in allen Ländern etwas anders aus. In Deutschland beispielsweise passierte während der ersten Jahre wenig. Gewechselt haben jährlich vielleicht 1 oder 2 Prozent der Haushalte, entsprechend träge waren die meisten Stromversorger. Lediglich einzelne wie Yello Strom oder «eprimo» traten marketingmässig forsch auf. Irgendwann haben sich die Verluste bei den traditionellen Anbietern aber summiert und gleichzeitig fiel der Strompreis zusammen. Da mussten auch die herkömmlichen Stadtwerke damit beginnen, ausserhalb ihres Gebiets um Kunden zu werben, um die Verluste kompensieren zu können. Der Wettbewerb hat sich seither ziemlich verschärft.

Sie rechnen also nicht damit, dass viele Ihrer Kunden sofort wechseln?
Das Beispiel Deutschland zeigt, dass bei der Marktöffnung vermutlich nicht viele Kunden auf einen Schlag wechseln werden, sondern die Wechselrate kontinuierlich steigen wird.

Umgekehrt können Sie aber auch nicht sofort grosse hinzugewinnen.
Nein, keinesfalls. Es dürfte ein «ruhiger» Start werden. Man muss sehen: In der Schweiz gibt es 600 Energieversorger. Viele haben einen sehr regionalen Fokus und es werden sich nicht alle auf Teufel komm raus in den Wettbewerb stürzen.

Was beeinflusst den Kaufentscheid eines Verbrauchers hauptsächlich?
Die Ökologie ist für eine gewisse Gruppe ein starkes Argument. Es gibt heute in Deutschland Anbieter, die voll auf nachhaltig produzierten Strom setzen. Extreme Beispiele sind «Greenpeace Energie» oder «Lichtblick», die sehr glaubwürdig auftreten und im grossen Stil Kunden aus nah und fern gewinnen. Insgesamt sind die Haushalte aber mehrheitlich nicht besonders wechselwillig. Da hier die Preisunterschiede auch nach der Öffnung des Markts nicht wahnsinnig gross sein dürften, werden die meisten bei ihrem jetzigen Anbieter bleiben. Wer stark auf den Preis achtet, wird in Zukunft – wie bei den Krankenkassen – auf ein Preisvergleichsportal gehen und sich den günstigsten Anbieter suchen.

Welche Konkurrenten fürchten Sie am meisten? Inland oder Ausland?
Aus dem Ausland eher weniger. Der Schweizer Markt ist klein und aus der Sicht von aussen auch etwas «speziell». Zudem gibt es in der Schweiz wie gesagt rund 600 Energieversorger; entsprechend viele Vertragsbeziehungen sind zu pflegen. Für ausländische Unternehmen wird sich das bei einem Markt mit nur 3,5 Millionen Haushalten kaum lohnen. In Deutschland sind es übrigens ebenfalls etwa 900 solcher Vertragsbeziehungen, die man als Anbieter haben muss. Dies aber für 50 Millionen Haushalte … Die inländische Konkurrenz ist daher wohl die grössere Herausforderung. Schon heute ist diese Konkurrenz im Grosskundengeschäft stark zu spüren.

Bereits seit zehn Jahren gibt es den freien Markt für Grosskunden auch in der Schweiz. Wie ist es der EBL seither ergangen?
Während der ersten drei Jahre hatten wir so gut wie keine Kundenverluste. Der Strompreis war damals vergleichsweise hoch und wir als nicht profitorientierte Genossenschaft konnten den Strom günstiger anbieten, als er an der Strombörse gehandelt wurde. Als die Strompreise in den folgenden Jahren gefallen sind, begann der Markt aber zu spielen. Die Grosskunden verlangten Preise, die unter dem Einkaufspreis lagen. Da haben wir einige Kunden verloren – zum Beispiel Filialen von Grossverteilern oder Grossbanken, die den Strom nicht mehr in den einzelnen Verteilgebieten, sondern zentral einkaufen.

Wie viele Grosskunden wechselten?
Vielleicht 15 Prozent. Aber wir konnten auch Kunden gewinnen – schweizweit und in Deutschland.

Die EBL in Deutschland?
Die EBL hat eine Tochter, die unter «schweizstrom» auftritt. In Deutschland hat die Marke einen sehr guten Klang – «Schweiz» steht für Verlässlichkeit, Seriosität oder Nachhaltigkeit – alles gute Attribute also. Unser Vorstoss funktioniert ausgezeichnet.

Wie viele Kunden haben Sie dort?
Etwas mehr als 30 000, Tendenz steigend. Gestartet sind wir 2010. Wir bieten den Strom in sämtlichen Orten im ganzen Land an. In Berlin haben wir besonders viele Kunden, in Nordostdeutschland auch.

Betreiben Sie Marketing?
Das Gebiet wäre zu gross, um sich flächendeckend bekannt zu machen. Wir arbeiten mit einigen Vertriebsorganisationen zusammen, die punktuell Kunden für uns akquirieren. Dagegen investieren wir stark in die Kundenbeziehung, wenn der Kunde zu «schweizstrom» gewechselt hat.

Ist Europa bald wichtiger als der Markt rund um Liestal?
Nein. In Deutschland erzielen wir heute mit «schweizstrom» einen Umsatz von vielleicht 30 Millionen, hier in der Schweiz sind es 180 Millionen Franken.

Deutschland dient auch als Übungsfeld?
Absolut. Die Erfahrungen, die wir dort machen, sind unbezahlbar. Deutschland gilt als sehr harter Markt, da kann man viel lernen. Allerdings bewegen wir uns auch in der Schweiz bereits mit unserer Tochter «EBLS Schweiz Strom AG» am Markt. Wir bieten unseren Strom den Schweizer Grossabnehmern ebenfalls unter der Marke «schweizstrom» an. Damit werden wir schweizweit nach der Liberalisierung auch gegenüber den Haushalten auftreten. «EBL» versteht in Zürich oder Genf kein Mensch, ist dagegen in der Region seit 120 Jahren bekannt und geniesst viel Vertrauen.

Die Elektra Birseck Münchenstein (EBM) hat den Wechsel ihres Namens bekannt gegeben. Sie will unter dem Namen «Primeo Energie» auftreten …
Einen neuen Namen brauchen wir nicht. Wir sind ausserordentlich zufrieden mit EBL und «schweizstrom».

Die EBM hat sich ferner zum Ziel gesetzt, zu den «Top 5» der Schweizer Energieversorger zu zählen. Haben Sie auch solche Ziele?
Nein, unser Ziel ist es höchstens, unter «die schlausten vier» zu kommen (lacht). Wir wollen unsere Genossenschaft nachhaltig weiterentwickeln. Dazu gehören Wachstum und Fokus.

Woher stammt Ihr Strom?
Wir beziehen etwas mehr als die Hälfte unseres Stroms aus den Flusskraftwerken Augst und Birsfelden sowie über einen Liefervertrag mit der Alpiq. Zudem haben wir einige kleine Werke in der Schweiz. Den Rest kaufen wir am freien Markt ein.

Planen Sie einen höheren Anteil an eigenem Strom?
In thermische Kraftwerke investieren wir nicht, dafür in erneuerbare wie Windenergie, Sonne oder Wasser. Die Standorte in unserer Region eignen sich leider weniger. Wir suchen daher aktuell vor allem in Deutschland zusammen mit Finanzpartnern gute Standorte für Windparks, die wir selber managen. Auch in Spanien sind wir an einem grossen Solarkraftwerk beteiligt.

Warum Windenergie?
Ganz einfach: Weil Windstrom laufend günstiger wird. Vor allem auch im Vergleich zu Strom aus anderen Quellen, der zuletzt teurer wurde.

Weshalb? Der Zuwachs von alternativer Energie hält an, was die Preise eigentlich unter Druck bringen müsste …
Die Erneuerbaren spielen eine untergeordnete Rolle. Entscheidender sind die Preise für Kohle, Gas und natürlich für die CO2-Zertifikate. Vor allem der CO2-Preis ist drastisch gestiegen – von 5 Euro pro Tonne auf über 15 Euro in kurzer Zeit. Kommt hinzu, dass zuletzt kaum noch in konventionelle Kraftwerke investiert wurde und alte Kraftwerke rückgebaut wurden, da der Strompreis lange im Keller war.

Steigt der Preis auch langfristig?
Im Jahr 2023 will Deutschland seine Atomkraftwerke stilllegen und diskutiert auch darüber, auf die Kohleverstromung zu verzichten. Es werden riesige Kapazitäten abgebaut. Das treibt die Preise schon Jahre vorher in die Höhe. 2016 zahlte man an der Strombörse für eine Megawattstunde Bandenergie noch 30 Euro, heute sind es bereits 50 Euro.

Und das geht weiter so?
Schwer zu sagen. Die Frage ist, wie viel durch erneuerbare Energie kompensiert werden kann. Das Problem bleibt, dass Wind- und Sonnenkraftwerke nicht durchgehend Strom liefern und damit Speicher oder eine Flexibilisierung des Verbrauchs notwendig werden. Es wird noch einiges geschehen müssen, damit es in Europa genügend Speicherkapazität für Wind- und Sonnenstrom gibt.

Zeichnen sich gute Lösungen für diesen «Flatterstrom» ab?
Es wird nicht eine einzelne Lösung geben. Pumpspeicherkraftwerke wie in der Schweiz funktionieren gut, doch das reicht nicht. Daher könnte in Zukunft überschüssiger Strom in Gas umgewandelt und erst dann verstromt werden, wenn es dunkel oder windstill ist. Auch mit den Batteriespeichern sind wir erst am Anfang. Die Lösungen werden aber kommen.

Bleibt die EBL eine Genossenschaft?
Wir sind fit, stark verwurzelt und arbeiten professionell. Unser Vorteil ist, dass es keinen Aktionär gibt, der laufend viel Geld aus der Firma zieht. Man kann also viel reinvestieren.

Im EBL-Gebiet gibt es mit Augst, Reigoldswil, Itingen, Sissach und Maisprach fünf Dorf-Elektras. Wie sieht deren Zukunft aus?
Sie machen ihren Job gut. Sie müssen nun natürlich schauen, wie sie sich auf die kommenden Konkurrenzsituationen einrichten. Für uns sind das wichtige Kunden. Wir respektieren, dass sie einen eigenständigen Weg gehen wollen.


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